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Feigenblatt

Eigentlich liebe ich meinen Job. Ganz ehrlich. Morgens schlendere ich pfeifend zur Arbeit und komme am Abend erfüllt und tiefenentspannt zurück nach Hause. Ich kann mich also wirklich nicht beklagen. Und doch gibt es manchmal diese Momente, in denen mich ein Gefühl von Neid beschleicht. Neid darauf, wie einige Leute ihr Geld verdienen. Zum Beispiel damit, Bushaltstellen mit herrlich nichtssagenden Plakaten für „Toleranz“ und „Vielfalt“ zuzupflastern. Oder an Rathäusern bunte Stofflappen zu hissen und das als Zeichen von Solidarität abzufeiern. Zwischendrin mal ein lustiges Erinnerungsfoto mit strammrechten Speichelleckern wie Ex-US-Botschafter Grenell und ein Kaffeeklatsch mit Kreidefressern wie Kardinal Woelki. Ach wenn doch nur jeder Tag Werktag wär…

Viel neidischer als auf den Job bin ich aber auf etwas anderes. Nämlich die maßlose Überschätzung solcher Aktionen. Wirkt es nur auf mich wie eine Art religiöses Heilsversprechen? So nach dem Motto: „Tröstet euch, meine bunten Schäfchen. Der Bann des Regenbogens wird euch schützen vor allem Übel.“ Vielleicht fehlt mir das Vertrauen, aber was zum Teufel soll das bringen? Klar, ein Zeichen setzen „für Vielfalt, Toleranz und gegen jegliche Form der Ausgrenzung“. Wer kann das inzwischen nicht im Schlaf runterleiern.

Aber was bringen all diese Aktionen, wenn es bei diesen vagen Lippenbekenntnissen bleibt? Wenn sich die Reaktion auf die alltäglichen Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen einzig in etwas Symbolpolitik und der üblichen Dosis „Empörung“ erschöpft? Wenn sich nie die Mühe gemacht wurde, echte Vielfalt und Akzeptanz in ihrer Gesamtheit zu begreifen und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen?

Dann verkommen diese Forderungen zu inhaltsleeren Worthülsen und der Regenbogen wird zum Feigenblatt für das eigene Nichtstun. Ist ja auch praktisch, wenn sich die Betroffenen und deren Vertreter_innen seit Jahrzehnten anstatt mit tatsächlichem Handeln mit symbolischen Gesten abspeisen lassen. Welche gesellschaftliche Minderheit ist schon so schnell zufrieden zu stellen?

Aber hey, schließlich sollten wir doch mal dankbarer dafür sein, dass die meisten cis Heten in Deutschland nach acht Jahrzehnten ja immerhin eingesehen haben, dass die Verfolgung und Ermordung queerer Menschen vielleicht doch keine so coole Idee gewesen ist. Und wenn sie diese bahnbrechende Erkenntnis mit dem Tragen einer Regenbogenfahne zum Ausdruck bringen, sollten wir uns dafür gefälligst demütig in den Staub werfen. Vielleicht legen sie dann bei ihren Big Buddies im Bundestag ein gutes Wort für uns ein und die queere Jugend kann sich in einem halben Jahrhundert unter der Rheumadecke an ihrem Schutz im Grundgesetz erfreuen.